Potsdamer Neueste Nachrichten 06.01.2011: Graue Zellen

Graue Zellen
Hans-Hagen Bremer, Paris
Frankreich soll zwei deutsche Alt-Terroristen ausliefern – ihre Anwältin hält das für rechtswidrig
Mehr als 30 Jahre nach den ihnen zur Last gelegten Taten müssen zwei lange Zeit in Frankreich untergetauchte mutmaßliche deutsche Ex-Terroristen nun mit ihrer Auslieferung nach Deutschland rechnen. Anfang der Woche wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zwei Eilanträge ab, mit denen der 68-jährige Christian Gauger und seine zehn Jahre ältere Lebensgefährtin Sonja Suder die Aussetzung ihrer Überstellung an die deutsche Justiz erreichen wollten. Das Gericht wird die Beschwerden der beiden ehemaligen Mitglieder der aufgelösten „Roten Zellen“ jetzt zwar noch im Grundsatz prüfen. Doch dieses Verfahren hat keine aufschiebende Wirkung, eine endgültige Entscheidung wird möglicherweise erst in Jahren fallen.

Nach dem grünen Licht, das der Conseil d“Etat, Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht, der Regierung im Dezember gab, stünde der Auslieferung damit nichts mehr im Wege. Irène Terrel, die Anwältin des Paares, hofft indes, dass Paris die Straßburger Richter nicht vor vollendete Tatsachen stellt. „Mehrere grundlegende Rechtsprinzipien sind in dieser Affäre verletzt worden“, sagt sie.

Gauger und Suder werden von der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main Bombenanschläge in den siebziger Jahren gegen Unternehmen vorgeworfen, die mit dem südafrikanischen Apartheidsregime Uranhandel trieben. Den beiden wird außerdem der Brandanschlag zur Last gelegt, bei dem Teile des Heidelberger Schlosses verwüstet wurden. Suder steht im Verdacht, an den Vorbereitungen des Überfalls auf die Opec-Konferenz in Wien 1975 beteiligt gewesen zu sein, bei dem drei Personen starben. Die Anschuldigung stützt sich auf Aussagen des Ex-Terroristen Hans-Joachim Klein, dem Anführer des Kommandos. Er war nach seiner Festnahme 1998 in Frankfurt zu einer Haftstrafe verurteilt und 2003 begnadigt worden.

1978 entzogen sich Gauger und Suder den deutschen Fahndern und ließen sich mit gefälschten Pässen in Lille (Nordfrankreich) nieder, wo sie als „Werner“ und „Lina“ ein unauffälliges Leben als Flohmarkthändler führten. Bei einem Besuch in Paris nahm sie die französische Polizei 2000 fest. Sie kamen in Auslieferungshaft, wurden aber nach wenigen Tagen unter polizeilicher Kontrolle wieder auf freien Fuß gesetzt. 2001 wies das Pariser Berufungsgericht den Auslieferungsantrag der deutschen Justiz ab. Die den beiden vorgeworfenen Taten seien nach französischem Recht verjährt, erklärte das Gericht damals.

2007 wurden Gauger und Suder, die inzwischen in Saint-Denis bei Paris eine neue Bleibe gefunden hatten, wieder festgenommen. Die hessische Justiz hatte unter Berufung auf die Konvention von Dublin 1996 einen neuen Antrag gestellt. Nach Artikel 8 dieser Konvention sind bei der Beurteilung der Verjährung nicht die Bestimmungen des Landes maßgeblich, an das sich der Auslieferungsantrag richtet, sondern des Landes, das ihn stellt. Nach deutschem Recht waren die Tatvorwürfe – Sprengstoffanschlag und Mittäterschaft bei Mord – aber nicht verjährt. Anfang 2009 befasste sich das Pariser Berufungsgericht erneut mit dem Fall und erklärte die Auslieferung – in völligem Widerspruch zu seiner Entscheidung von 2001 – für rechtens.

Iréne Terrel kann es immer noch nicht fassen. Zum einen sieht die Anwältin den Grundsatz der „chose déjà jugée“ verletzt, der „schon entschiedenen Sache“, wonach eine von einem Gericht abschließend behandelte Affäre nicht noch ein zweites Mal aufgerollt werden darf. Zum anderen kritisiert sie, dass der Grundsatz verletzt wurde, der die rückwirkende Kraft eines Gesetzes verbietet. Die Konvention von Dublin wurde in Frankreich aber erst 2005 in Kraft gesetzt. Gauger sei nach mehreren Schlaganfällen in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung, seine Partnerin sei schon 78 Jahre alt, betonte Terrel. Nicht zuletzt bezweifelt sie indes, dass ihre Mandanten nach über dreißig Jahren noch mit einem fairen Prozess rechnen können. Dazu beruft sie sich auf Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Der hatte 2009 zu der Affäre um die Auslieferung des Regisseurs Roman Polanski aus der Schweiz nach den USA erklärt: „Ich verstehe, dass die Schwere der Vorwürfe gegen Polanski schockieren können. Aber es kann kein guter Gang der Justiz sein, wenn diese sich 32 Jahre nach den Taten sich äußern soll und der der Betroffene heute 76 Jahre alt ist.“

http://www.pnn.de/politik/363411/

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