Erstes Resümee nach der Verurteilung von Sonja und ihrer Freilassung

Wir wollen mit diesem Text als Berliner Unterstützungsgruppe ein erstes Resümee zur Soliarbeit zum Revolutionäre Zellen (RZ) – Prozess von Sonja und Christian in Frankfurt (Main) ziehen.

Bisher gab es nur eine kurze Presseerklärung der bundesweiten Solidaritätsgruppen und Äußerungen in diversen Presseartikeln, die eine Bandbreite von freudig, distanziert bis boshaft umfassten. Wir denken, dass es nach der ersten Freude über Sonjas Freilassung notwendig ist, einige kritische Gedanken zum Verlauf des Prozesses, dem Urteil und der Soli- und Öffentlichkeitsarbeit zu formulieren.

Sonja ist seit dem 13. November 2013 nach zweieinhalb Jahren Haft endlich draußen. So groß unsere Freude darüber auch ist, dürfen wir nicht verkennen, dass das Gericht mit dem Urteil soviel wie möglich raus geholt hat aus einem Prozess, der auch nach juristischen Maßstäben äußerst dürftig war. Unsere Forderung nach Freispruch ist von diesem Urteil meilenweit entfernt.

Sonja wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Knast verurteilt, wobei ihr die Untersuchungshaft in Frankreich und Deutschland angerechnet wurde. Die Reststrafe ist zur Bewährung ausgesetzt. Jedoch ist der Haftbefehl gegen sie nicht aufgehoben, sondern nur „außer Vollzug“ gesetzt. Außerdem muss sie sich regelmäßig bei den Bullen melden.

Einen politischen Prozess nach juristischen Maßstäben zu beurteilen ist immer schwierig und auch nicht unser vordringliches Anliegen. Der Verurteilungswillen des Staates war bereits klar durch die Hartnäckigkeit, Sonja und Christian mit Hilfe des Europäischen Haftbefehls aus Frankreich ausgeliefert zu bekommen. Wenn wir dennoch auf Einzelheiten des Prozesses eingehen, dann weil sie Folgen für weitere Urteile haben können. Denn das Gericht hat Sonja, nachdem die Staatsanwaltschaft den vom Kronzeugen Klein behaupteten Vorwurf der Beteiligung am OPEC-Überfall fallengelassen hatte, auf Grundlage erfolterter Aussagen von Hermann Feiling verurteilt.

Erfolterte Aussagen und Beugehaft

Ein kurzer Blick zurück ins Jahr 1978: Fussball-Weltmeisterschaft in Argentinien unter der Militärdiktatur. Eine für das argentinische Generalkonsulat in München geplante Bombe explodierte Hermann auf dem Schoß. In Folge dessen verlor er sein Augenlicht und seine Beine. Die Behörden sahen dies als Möglichkeit, Informationen über die „Revolutionären Zellen“ zu erpressen. Sie verschleppten und verhörten Hermann monatelang unter Einfluss von starken Schmerzmitteln. Während dieser Zeit entstanden umfangreiche „Aussagen“, die damals zu mehreren Verurteilungen führten.

Sibylle, eine der damals Verurteilten und heutige Mitbewohnerin von Hermann, wurde im aktuellen RZ-Prozess als Zeugin vorgeladen. Sie verweigerte die Aussage mit der Begründung, dass alle damaligen Aussagen unter folterähnlichen Umständen erpresst worden sind.

Das Gericht drohte mit Beugehaft, die anschließend vollstreckt wurde. Sibylle saß vier von maximal sechs möglichen Monaten im Knast. Betrachtet man die vergangenen Jahre, ist dies der einzige Fall in politischen Prozessen.

Es ist uns nicht gelungen, die Verwendung der erpressten Aussagen von Hermann und die Beugehaft von Sibylle zu verhindern. Eine breitere Öffentlichkeit konnte nicht sensibilisiert werden.

Die Frage nach Folter und die Verwendung von erfolterten Aussagen vor Gericht (zumindest bei militanten oder bewaffneten Gruppen oder bei 129b Verfahren) ist kein Thema hier, weder bei einem Großteil der radikalen Linken noch bei einer liberalen Öffentlichkeit, die sich den Grundrechten verpflichtet fühlt.Liegt es daran, dass der Fall von Hermann zu lange her ist? Auf jeden Fall konnten wir diese Tatsache nicht soweit ans Licht zerren, dass sie von einer sensibilisierten Öffentlichkeit aufgegriffen wurde. Das Frankfurter Landgericht geriet nicht ausreichend unter politischen Druck, dieses „Beweismittel“ fallen zulassen, obwohl zumindest die Rechtsanwält_innen diesen Umstand in zahlreichen Beweisanträgen thematisiert haben. Sie forderten eine neue Begutachtung der damals erpressten Aussagen auch unter dem Gesichtspunkt der gesundheitlichen Folgen für Hermann. So hat die wissenschaftliche Forschung zum Thema Traumatisierung und den Folgen von Medikamentierung seit den 1970er Jahren zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen. Damit hätte jede Richterin die Möglichkeit gehabt, elegant Abstand von der Verwendung dieser erpressten Aussagen zu nehmen. Aber weit gefehlt: durch Verlesung von Aussagen damaliger Folterbullen wurde die Verhörsituation zusätzlich gerechtfertigt. Hinzu kam dann noch die Beugehaft gegen Sibylle. Auch diesmal erfolgte kein öffentliches Raunen, nur unsere Erleichterung, dass Sibylle nach vier Monaten entlassen wurde. Die einzige „Planänderung“ im Verfahren, die erreicht werden konnte, war, dass die Richterin nach einem ekelhaften juristischen Hickhack Hermann selbst nicht vor Gericht gezerrt wurde. Die Verwendung der erfolterten „Aussagen“ und es war ja nicht nur das Verlesen als solches, sondern dass sie damit als Beweis Eingang in den Prozeß fanden,ist für uns nach wie vor inakteptabel und darf so nicht stehengelassen werden. Wir sollten darüber nachdenken, ob eine weitere juristische Auseinandersetzung notwendig ist, um diesen Umgang zumindest im Nachhinein juristisch zu ächten.

Der Opec-Vorwurf und der Kronzeuge Klein

Als die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer den Vorwurf der Opec-Beteiligung fallen ließ, hatte dies einen bitteren Beigeschmack. Es war zuvor bekannt geworden, dass der Kronzeuge Klein auch in einem anderen RZ-Prozess zum OPEC-Überfall sich immer wieder in Lügenkonstrukte verwickelte und die Rolle als Belastungszeuge, die der Staat ihm zugedacht hat, nicht „erfolgreich“ spielen konnte. Auch beim jetzigen Frankfurter Prozeß hat das Gericht Klein weiterhin als Zeugen ernst genommen, obwohl die widersprüchlichen Aussagen Kleins vor dem Frankfurter Gericht von einem französischen Ermittlungsbullen aufgedeckt wurden. Bitter daran ist, dass das Gericht diesen Vorwurf bei den fortlaufenden Haftbegründungen immer wieder vorbringen konnte, ohne dass es dafür in einer breiten Öffentlichkeit kritisiert wurde. So konnte das Gericht Sonja bis zum Schluss in U-Haft halten. Es ist Sonja und Christian hoch anzurechnen, dass sie auch an diesem Punkt das staatliche Kalkül durchbrochen haben, indem sie weiterhin jede Zusammenarbeit mit den Repressionsorganen verweigert haben.

Europäischer Haftbefehl und die (internationale) Solidarität

Schon weit vor dem Prozess lebten Sonja und Christian lange Zeit in Ungewissheit. Durch den Europäischen Haftbefehl wurde eine Auslieferung, die zuvor immer gescheitert war, möglich und wurde letztlich auch durchgezogen. Innerhalb Deutschlands ist es uns kaum gelungen, dieses relativ neue Instrument des Europäischen Haftbefehls zu thematisieren. Das war im Auslieferungsland Frankreich anders, wo viele Exilant_innen aus revolutionären Gruppen und Bewegungen die Folgen deutlich vor Augen haben.

Gleichzeitig war die internationale Solidarität während der ganzen Haftzeit ein gutes Zeichen: Es gab Veranstaltungen und Aktionen in vielen Ländern unter anderem in Griechenland, Spanien, Niederlande und vor allem in Frankreich.

So war nicht alles schlecht und sicherlich waren die Ausgangsbedingungen für die Soliarbeit schwierig. Die deutschen Behörden ermittelten jahrzehntelang gegen zwei Menschen, die seit über 30 Jahren im Exil lebten und nicht mehr eingebunden waren in eine Bewegung in (West-) Deutschland. Zudem ging es um die Politik einer bewaffnet kämpfenden Gruppe, die seit 15 Jahren nicht mehr aktiv ist. Aber auch die Politik, für die Sonja letztlich verurteilt wurde, militante Aktionen gegen das Verbrechens-Regime in Südafrika, Atomkraft und Stadt-Umstrukturierung war offensichtlich kein mobilisierendes Moment für heutige Aktivist_innen.

Das alles ist sicherlich nicht allein unser Verschulden, innerhalb der linksradikalen Bewegung wurde der Prozess durchaus wahrgenommen und diskutiert. Es gab Veranstaltungen und Solidaritätsaktionen. Sicher, mehr wäre schöner gewesen, aber angesichts der oben genannten Umstände ist uns doch einiges gelungen.

Kritische Öffentlichkeit und Medien

Weniger angekommen sind unsere Versuche über die linksradikale Bewegung hinaus. Schließlich hat sich die „kritische Öffentlichkeit“ etwa in Form von offenen Briefen von Organisationen oder anderen öffentlichen Stellungnahmen bis auf wenige Ausnahmen gänzlich hinterm Ofen versteckt, war in Desinteresse oder gar offene Ablehnung abgetaucht. Die Berührungsängste gegenüber militanter, organisierter, gar revolutionärer Aktionen bleibt in diesem Land wirkungsmächtig, auch wenn davon Themen wie Grundrechte oder Folter betroffen sind. Ganz anders hatten zahlreiche Organisationen im sogenannten Daschner-Fall mit Pressemitteilungen reagiert, wo Polizisten einem Entführer Folter angedroht haben. Dabei hätte auch bei dem jetzigen Prozess eine Thematisierung und Empörung auch im eigenen Interesse von Organisationen liegen können, die daran ihre Kritik am Europäischen Haftbefehl oder den Grundrechten hätten deutlich machten können.

Zudem gab es in der Medienberichterstattung nur wenige Ausnahmen, die die Verwendung der erzwungenen Aussagen von Hermann oder die windige Rolle des Kronzeugen Klein thematisiert haben. Auch das militante Agieren beispielsweise gegen Atomkonzerne spielte keine Rolle, auch wenn sich heute alle positiv auf den so genannten Atomausstieg beziehen. Von damals notwendigen Schritten gegen Konzerne, die vom Apartheid-Regime profitiert haben und dafür bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, ganz abgesehen.

Ein Gutes bleibt zu sagen: die klare Absage zur Kooperation mit den Verfolgern war ein starkes Moment. Unsere Solidarität hält, wenn auch zahlenmässig stark begrenzt, auch nach 30 Jahren.

Unsere stärkste Waffe rostet nicht!

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