Presseerklärung der Anwälte von Sonja und Christian von 2009

11.3.2009

Die Gunst der Stunde genutzt

Am 25.2.2009  hat der Pariser Cour d´Appell in 1. Instanz entschieden, dass Sonja S. (76) und Christian G.(67) an die Bundesrepublik ausgeliefert werden. Gegen diesen Beschluss ist Rechtsmittel eingelegt worden. Bereits im Jahre 2000 waren sie schon einmal aufgrund eines Internationalen Haftbefehls festgenommen worden. Das Gericht hatte aber damals entschieden, dass die vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt sind und die Auslieferung abgelehnt. Der abermalige Versuch im Jahre 2007, die Auslieferung erneut auf den Haftbefehl zu stützen, muss überraschen, weil der Staatsanwaltschaft präsent ist, auf welch fragwürdiger Grundlage er beruht. Denn auch ihr sind die neueren Forschungsergebnisse über die Folgen einer schwerwiegenden Traumatisierung für das Aussageverhalten und -fähigkeit aus Verfahren im Kontext schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen geläufig.

Die Taten, die unseren Mandanten gemeinsam vorgeworfen werden, gehen in die Jahre 1977 und 1978 zurück. (Näheres hierzu am Ende des Textes).  Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei entscheidend auf Vernehmungen von Herrn F., der am 23.6.1978 durch einen selbstverschuldeten Explosionsunfall schwerste Verletzungen an Beinen, Augen sowie Verbrennungen im Gesicht erlitten, die es erforderlich machten, ihm beide Beine oberhalb der Oberschenkel zu amputieren und beide Augen zu entfernen. Durch die Explosion ist eine Hirnschädigung entstanden, die zur Entwicklung einer posttraumatischen Epilepsie führte.

Die traumatische Belastung wurde dann noch erheblich intensiviert. Denn seit seiner Einlieferung in das Krankenhaus bestand die Weisung, Herrn F. polizeilich bewachen zu lassen, um jeglichen Kontakt  zwischen ihm, seinen Freunden, Vertrauten und Bekannten auszuschließen. Lediglich seinen Eltern und einem nicht von Herrn F. gewählten Anwalt wurden Besuche gestattet. Abgesehen von dem Klinikpersonal bestanden die alltäglichen sozialen Kontakte ausschließlich in polizeilichen Ermittlungsbeamten, zeitweise auch in Staatsanwälten und einem Richter. Sie waren Bewacher, Ermittler, Pfleger und soziales „Umfeld“ in einer Person und ließen sich auch durch die erkennbar schweren Verletzungen nicht davon abhalten, die Gunst der Stunde zu nutzen, um „in die Revolutionären Zellen einzudringen“, wie sich der damalige Generalbundesanwalt Rebmann in einer Pressekonferenz am 4.7.1978 ausdrückte.

Diese Abschottung wurde auch in den Polizeikasernen Oldenburg und Münster bis Ende Oktober 1978 aufrechterhalten, in denen Herr F. nach seiner Krankenhauszeit weiter vernommen wurde. Die Haftunfähigkeit machte die Abschottung rechtlos. Eine psychische Behandlung seiner Traumata fand nicht statt.

Einen schwerverletzten, traumatisierten Menschen zum Werkzeug von Ermittlungszielen herabzuwürdigen verletzt elementare Menschenrechte, es verletzt in massiver Weise auch das Verbot unzulässiger Vernehmungsmethoden.

Dass auf Angaben aus einer solchen Verhörsituation auch heute noch ein internationaler Haftbefehl gestützt wird, ohne die Gesamtumstände durch einen Sachverständigen aktuell beurteilen zu lassen, begegnet schwersten Bedenken. Denn in den letzten 20 Jahren ist der Bereich der posttraumatischen Belastungen zu einem Spezialgebiet der Psychiatrie geworden, deren Forschungsergebnisse zwingend in die Beurteilung der Vernehmungsfähigkeit von Herrn F. in der Zeit seiner „Verwahrung“  hätte einfließen müssen.

Die Verteidigung hat daher Beschwerde gegen die Haftbefehle eingelegt und beantragt, einen psychiatrischen Sachverständigen mit dieser Beurteilung zu beauftragen.

Zu den vorgeworfenen Taten:

Am 22.8.1977 explodierte bei der Firma MAN in Nürnberg ein Sprengsatz. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: „ MAN exportiert Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika… Südafrika als Atomstaat – damit wird ein rassistisches Unterdrückungssystem weiter abgesichert…Die BRD-Regierung sichert das Atomgeschäft durch Versicherungsgarantien ab („Hermes Bürgschaften“)…“

Am 30.8.1977 sollen unsere Mandanten an der Vorbereitung und Planung eines Sprengstoffanschlages auf die Firma „Klein, Schanzlin und Becker“ in Frankenthal beteiligt gewesen sein. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: …“ als der Welt größter Pumpenhersteller spielen diese Leute eine wesentliche Rolle des Zulieferns für Kernkraftwerke in aller Welt. 30% der Umsatzsteigerung im Jahr 1976 hat sich KSB durch das Atomgeschäft ergaunert…“

Am 18.5 1978 wurde auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag verübt. In einem Text mit dem Briefkopf der Stadt Heidelberg heißt es: „ Als Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg erkläre ich, dass irgendwelche Behauptungen ich hätte gestern Nacht im Königssaal des Heidelberger Schlosses Feuer gelegt, jeglicher Grundlage entbehren. Richtig ist vielmehr: Ich zerstörte und zerstöre Gebäude, die mir bei der Sanierung Heidelbergs im Wege stehen. – Wo gehobelt wird, fallen Späne…“ Die Tat wird den „Revolutionären Zellen“ zugeordnet. Beteiligt sollen auch unsere Mandanten gewesen sein.

 

Frau Sonja S. wird darüber hinaus vorgeworfen, sie sei im Rahmen der Vorbereitung des Überfalls auf die Opec-Minister am 21.12.1975 in Wien bei der Anwerbung von Hans-Joachim Klein’s im Frankfurter Stadtwald anwesend gewesen und habe Waffen und Sprengstoff nach Wien transportiert. Der Verdacht stützt sich allein auf die Aussage von Hans-Joachim Klein, der vor wenigen Tagen wegen seiner Beteiligung an dem Überfall begnadigt wurde.

Das Landgericht Frankfurt hat in einem Verfahren gegen Klein und Sch. in einer sehr detaillierten Bewertung festgestellt, dass Klein in diesen Punkten unglaubwürdig und seine Angaben unglaubhaft seien. Die Staatsanwaltschaft hat es versäumt, den Internationalen Haftbefehl auf dem Hintergrund dieser rechtskräftigen Feststellungen neu zu bewerten.

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