Die Schuld der anderen; Frankfurter Rundschau, 30.01.2013

Im Prozess gegen Sonja Suder und Christian Gauger zeigt der Belastungszeuge Hans-Joachim Klein Gedächtnislücken, die dem hehren Prinzip der Legendenbildung in den linken Dunstkreisen der 70er-Jahre-Terrorismus alle Ehre machen. Aber das Gericht nicht weiterbringen.

„Mir geht es nur darum, meine Schuld zu tragen. Andere mögen die ihre tragen.“ Es ist ein großes Wort, das Hans-Joachim Klein vom Zeugenstand aus an das Landgericht sendet. Fatal ist bloß: Hier geht’s gar nicht um Kleins Schuld, sondern um die der anderen. Genauer: die von Sonja Suder.

Kleins Schuld ist erwiesen und zumindest juristisch gesühnt. Im Februar 2001 war das ehemalige Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) für seine Beteiligung am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz 1975 wegen dreifachen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden. 2003 wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Denn Klein war als Kronzeuge aufgetreten. Seitdem gilt er bei seinen alten Mitkämpfern als Verräter. Und als Lügner.

In Bornheim war’s ungefährlicher

Wie immer man zu Kleins Verhältnis zur Wahrheit stehen mag: Sein Aussageverhalten ist – gelinde gesagt – sprunghaft. Auch, wenn es um Sonja Suder geht.

In früheren Vernehmungen hatte Klein gesagt, dass er nur aus Erzählungen seines ehemaligen Mit-Terroristen Winfried Böse gewusst haben wolle, dass Suder am Vortag des Überfalls Waffen von Frankfurt nach Wien gebracht habe. Diese Aussage hatte er später revidiert.

Am vorigen Verhandlungstag hatte Klein gesagt, er könne sich genau daran erinnern, dass Suder persönlich die Waffen vorbeigebracht – und wieder mit zurückgenommen habe, als bessere Waffen aus Libyen eingetroffen seien. Am Dienstag wiederum sagte Klein, man habe zumindest den Sprengstoff der Frankfurter RZ beim Opec-Überfall verwendet.

Widersprüchlich sind auch die Aussagen über die beiden konspirativen Treffen, die Klein zur Vorbereitung des Überfalls zweimal im Frankfurter Stadtwald erinnert, und zwar mit Sonja Suder und Brigitte Kuhlmann. So detailliert waren seine Erinnerungen früher nicht. Vieles, so Klein, komme ihm beim Erzählen wieder in den Sinn.

Ob das aber reichen kann, eine Mordanklage zu erhärten, ist bislang mehr als fraglich. Kleins Schwächen werden deutlich, wenn er sich an alte RZ-Zeiten zu erinnern versucht: „Die Sponti-Szene war damals mehr so in den Kneipen im Westend und Nordend zu Gange. Wir verzogen uns oben nach Bornheim hin – da war’s ruhiger und ungefährlicher.“

„War halt ein Irrtum“

Ob denn damals, bei den Kneipengesprächen, in denen es laut Klein meist um die Befreiung inhaftierter Gesinnungsgenossen ging, auch Suder dabei gewesen sei, will der Staatsanwalt wissen. Definitiv nicht, antwortet Klein, um die Aussage Minuten später zu revidieren: Selbstverständlich sei sie dabei gewesen, sie sei ja schließlich damals schon Gaugers „Kompagnon“ gewesen. Und so verstrickt sich Klein gerade in Details in Widersprüche zu seinen früheren Aussagen – auch zu dem, was er selbst 1979 in seinem Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit – Appell eines ausgestiegenen Terroristen“ geschrieben hat.

„Was ich damals über Frau Suder ausgesagt habe, weiß ich nicht mehr – aber ich habe die Wahrheit gesagt“, sagt Klein. Und wenn er doch bei einem unlösbaren Widerspruch erwischt wird, dann sagt er einen Satz wie: „Dann war es halt ein Irrtum.“ Das mag menschlich verständlich und der langen Zeitspanne geschuldet sein. Für eine Aussage, auf der im Wesentlichen eine Mordanklage fußt, ist es arg wenig. Denn auch wenn Kleins Abkehr vom Terrorismus glaubhaft und nachvollziehbar scheint, als Zeuge für wichtige Details ist er kaum zu gebrauchen. Die Mangel, durch die ihn die Verteidigung drehen wird, steht ihm noch bevor.

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