Das hohe Gut der Lächerlichkeit; Frankfurter Rundschau, 23.01.2013

Im Prozess gegen Sonja Suder und Christian Gauger werden die Anträge der Verteidigung immer abenteuerlicher. Im Prozess gegen die beiden ehemaligen Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ sagt der geläuterte Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein erneut aus – kommt aber nicht weit.
In der Klamotten-Serie „Sonja Suder und Christian Gauger vor dem Landgericht“ war am gestrigen Dienstag zumindest der Vorfilm erwähnenswert.

Zur Erinnerung: In der vergangenen Woche versuchte Hans-Joachim Klein, verurteilter Ex-Terrorist und nach Ansicht der Staatsanwaltschaft einer von Suders und Gaugers ehemaligen Weggefährten bei den Revolutionären Zellen, eine Aussage zu machen. Was teilweise an den Zuschauern scheiterte, von denen ein paar „Das größte Schwein im ganzen Land das ist und bleibt der Denunziant“ krakeelten und folgerichtig Saalverbot bekamen.

Das Milli-Vanilli-Theorem

Das hatte auch gestern noch Bestand. Was die Anwälte von Suder und Gauger zu neuen Höhenflügen bei der obligaten Antragstellerei bewegte. Verteidiger Joachim Bremer rühmte darin das „hohe Gut der Öffentlichkeit“, dem hier ohne Not der Garaus gemacht werde, weil es nicht die geringsten Anzeichen dafür gebe, dass die Störer vom jüngsten Verhandlungstag die Störerei auch diesmal fortsetzen würden.

Sein Kollege Detlef Hartmann setzte gar noch einen drauf: Er forderte vom Gericht ein Gutachten, das die „audio-visuellen Zuordnungsprobleme“ aufkläre. Denn: Allein die Tatsache, dass die Zuschauer, die durch eine Glasscheibe vom Verhandlungssaal getrennt sind, aufgestanden seien und die Lippen bewegt hätten, beweise noch lange nicht, dass sie auch wirklich selbst gesungen hätten. Man könnte das wohl das Milli-Vanilli-Theorem nennen.

Debatte um die Freiheit

Die Zeiger der Uhr rückten jedenfalls vor, ein Antrag jagte den nächsten, und wie üblich wurde jeder nach mehr oder weniger kurzen Verhandlungspausen abgelehnt. Schließlich sagte doch noch ein Zeuge aus – allerdings nicht Hans-Joachim Klein, sondern Rolf Krämer, der beim Landgericht eigentlich für die Sicherheit zuständig ist und daher eher selten im Zeugenstand landet.

Krämer sollte die bedeutende Frage klären, wieso denn nur fünf Störer Saalverbot hätten, obwohl nachweislich acht gesungen hätten. Denn während ihrer Sangesdarbietung hatten die Störer ihre T-Shirts präsentiert, auf denen jeweils ein Buchstabe prangte, die zusammen das Wort „Freiheit“ ergaben (gemeint war Freiheit für Suder und Gauger). „Freiheit“, dozierte ein Anwalt, habe nämlich acht Buchstaben. Das sind zwei weniger als in „Langeweile“. Krämer konnte und wollte nicht widersprechen – auch er ist der Ansicht, dass „Freiheit“ mit acht Buchstaben geschrieben wird.

Bis ans Lebensende im Hotel

Um kurz nach 12 Uhr begann Klein dann doch noch auszusagen. Es blieb beim Beginn, denn zehn Minuten später musste die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock, die zunehmend zur Mater Dolorosa eines unführbaren Prozesses wird, wieder unterbrechen. Verteidiger Hartmann hatte nämlich noch einen „unaufschiebbaren Antrag“ im Köcher, der er nach Absprache mit seiner Mandantin noch formulieren müsse. Und ab 13 Uhr musste wegen der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit Gaugers Schluss sein.

Zeuge Klein ging also wieder zurück ins Hotel, das er, sollte der Prozess in diesem Tempo weitergehen, wohl bis an sein Lebensende auf Staatskosten bewohnen darf. Nach der Verhandlungspause hatte Hartmann den unaufschiebbaren Antrag aber leider wieder vergessen. „Schade, ich hätte gerne mal den Klein gehört“, bedauerte eine Zuschauerin nach Abpfiff. Vielleicht hat sie ja dazu beim nächsten mal Gelegenheit. Vermutlich aber nicht.

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