9. Okt.: Antrag der Verteidigung auf Gutachten über posttraumatische Auswirkungen

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In der Strafsache gegen Sonja Suder 5/22 Qs 2/09 wird beantragt, ein Sachverständigengutachten eines mit der Traumaforschung vertrauten Sachverständigen einzuholen.

Das Gutachten wird Folgendes ergeben:

I. In den letzten 30 Jahren haben sich die Forschungen auf dem Gebiet der Psychotraumatologie, d.h. der Auswirkungen schwerer traumatischer Erfahrungen im Sinne eines extremen Ereignisses, das geeignet ist, den psychischen Integrationsmechanismus zu überwältigen bzw. zu überfordern, zu Erkenntnissen in Diagnostik und Therapie weiter entwickelt, die Anfang der 80er Jahre noch nicht vorhanden waren. Dies gilt allgemein, wie auch im Besonderen über die Beeinträchtigung der Willensfreiheit und der Willensbetätigung (G. Flatten et al., Posttraumatische Belastungsstörung, 2. Aufl., Stuttgart 2004, hier insbes. S. 29: W. Wöller et al., Akute und komplexe Traumafolgestörungen); Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), S 2 – Leitlinie: Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung, neueste Fassung unter: AWMF-Register Nr. 051/027).

II. Die Anwendung dieser neuen und nunmehr überlegenen Erkenntnisse und der damit verbundenen Forschungsmethoden und -mittel führen zu dem Ergebnis, dass Herrmann Feiling nicht nur für die Zeit bis 06. Juli 1978 in seiner Willensfreiheit und Willensbetätigung erheblich beeinträchtigt war und zwar im Sinne der zu § 136 a StPO aufgestellten Grundsätze, sondern auch für die im Zeitraum bis Ende Oktober 1978 durchgeführten Vernehmungen bis zu seiner Entlassung aus der Polizeischule in Münster. Aufgrund dieser Forschungsmethoden bestand diese Einschränkung unabhängig von der Frage der Verhandlungs- und Aussagefähigkeit, da sich die traumatischen Wirkungen unterschiedlich auf Willensfreiheit und Willensentschließung einerseits und kognitive und intellektuelle Fähigkeiten auswirken – die Willensfreiheit kann eingeschränkt sein, auch wenn die Fähigkeit, Aussagen zu machen und an Verhandlungen teilzunehmen vorhanden ist.

Im Einzelnen:

Zu I.
Auf dem Gebiet der Psychotraumatologie hat man sich definitorisch darauf geeinigt, ein Trauma als extremes Ereignis zu umschreiben, das geeignet ist, den psychischen Integrationsmechanismus nahezu jedes Menschen zu überwältigen bzw. zu überfordern. Gemeint ist insbesondere die direkt oder die indirekt erlebte Lebensbedrohung, also die Gefahr des eigenen Todes, sowie ein passives Betrachten der Todesgefahr eines anderen / vertrauten Menschen (für die deutsche Forschung: G. Flatten aaO.; M. Huber, Trauma und die Folgen, 2 Bde., Paderborn 2003, vgl. auch DSM-IV und Anhang). „In der Regel wirkt auslösend das Ausmaß der körperlichen Verletzung sowie das subjektive Gefühl von Lebensbedrohung, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust… . Akute Traumafolgesymptome können Ausdruck eines normalen Anpassungsprozesses nach einem traumatischen Ereignis sein“ (DeGPT, AWMF-Register Nr. 051/027, op. cit. S. 3). Ein an die Phase einer „akuten katastrophischen Stressreaktion“ (Horowitz) sich posttraumatisch nahtlos anschließendes Stadium ist weiterhin charakterisiert durch das subjektive Gefühl der Hilflosigkeit, Ohnmacht, des Kontrollverlustes. Hier wird in Alltagsauswirkungen, Träumen und „Echoeffekten“ (Flashback) das Trauma reaktiviert und reproduziert und dadurch die unter normalen Bedingungen vorhandene Freiheit der Willensbetätigung beeinträchtigt. Die Befunderhebung über Träume und Flashback sind daher für deren Beurteilung unabdingbar. Das gilt auch für Bewältigungsversuche und –formen durch auf „Anpassung“ konditionierte Bemühungen zum „Überleben“ in der Reaktion auf die Manifestation des Traumas in posttraumatischer Belastung. Sie kann sich in Formen der Panik, aber auch als „Dissoziation“ äußern, in der die Person dadurch mit dem Trauma fertig zu werden versucht, dass sie sie „abspaltet“, und zugleich die Versuche der Bewältigung der Alltagsanforderungen so gut es geht davon freihält, sodass kognitive Fähigkeiten und Prozesse unbeeinträchtigt erscheinen. Der Einfluss der „abgespaltenen“ Reaktionen und Formen der Beeinträchtigung der Willensfreiheit bleiben wirksam, ohne dass dies in der scheinbaren Rationalität und kognitiven Stimmigkeit des Alltagsverhaltens erkennbar wird. Das Alltagsverhalten wirkt kontrolliert und normal, bleibt aber bestimmt von der abgespaltenen Panik, Angst, Ohnmachtgefühlen etc. Im Falle eines sich machtvoll aufdrängenden Einflusses von außen äußert sich die aus der posttraumatischen Belastungssituationssituation generierte Ohnmacht oft in der Identifikation mit den zum Überleben erforderlichen Personen, weil diese die einzigen sind, die über Leben und Tod befinden. (Identifikation mit dem Aggressor, Stockholm-Syndrom).

Die posttraumatischen Auswirkungen sind besonders gravierend, wenn bei schwerer Traumatisierung nicht sofort fachliche psychische und psychosoziale Hhilfe geleistet wird und diese darüber hinaus mit Beschuldigungen, unverständlichen Forderungen im Rahmen laufender Ermittlungen, Nicht-Anerkennung des persönlichen Schadens und Ignoranz gegenüber psychischen und körperlichen Traumafolgen verbunden ist (DeGPT op. cit., S. 14 f; U. Buss, Posttraumatische Belastungsstörung. Universität Göttingen, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, WS 2006/07 – Modul 4.2 unter: „Therapeutische Grundprinzipien“). Auch das Fehlen emotionaler sozialer Unterstützung durch nahestehende Personen (was nicht mit der Familie im bürgerlich-rechtlichen Sinn identisch sein muss) wirkt sich in der posttraumatischen Belastung aus (DeGPT, a.a.O., S. 17; U. Buss, a.a.O., unter: „Stabilisierung“). „Hilflosigkeit (nicht fliehen können!!) – Ohnmacht (nicht dagegen ankämpfen können)“ stellen unter diesen Umständen wesentliche Momente des „Trauma-Mechanismus“ dar (U. Buss, a.a.O. unter: „Trauma-Mechanismus“).

zu II.
Herrmann Feiling war durch die Explosion und ihre psychischen und leiblichen Auswirkungen extrem traumatisiert. Die leiblichen Auswirkungen des Geschehens selbst, der Verlust der Beine und vor allem der Augen, wie auch die Reduzierung als eines Menschen, dem alles offen stand, zu einem hilflosen Bündel, das die Möglichkeiten der aktiven Beeinflussung seines Schicksals schlagartig verloren hatte und als passives Objekt auf andere angewiesen war, stellten insgesamt nicht nur eine Bedrohung mit dem Tod dar, sondern auch eine Vernichtung der existenziellen Selbstbetätigung und Selbstständigkeit für unabsehbare Zukunft, also eine existenzielle Vernichtung der Lebensmöglichkeiten. Dies verlängerte sich in die posttraumatischen Auswirkungen. Es wurde aus seiner Sicht durch Abschottung und äußere Kontrolle unter den Bedingungen des polizeilichen Gewahrsams fortgesetzt. Hermann Feiling war jeweils in einem abgesicherten Bereich untergebracht, der von Fremden nur mit Einwilligung nach Kontrolle betreten werden durfte. Die von ihm als vertraute Menschen angesehenen Freunde aus dem sozialen Umfeld, in dem er sich vor dem traumatischen Ereignis bewegt hat, wurden nicht zugelassen. Ihre Zulassung stand nicht unter seiner Kontrolle, sondern der Kontrolle der sein polizeiliches Gewahrsam beherrschenden Beamten. Auch die Hinzuziehung von Ärzten und Betreuern war ihm verwehrt, sie unterlag ebenfalls nicht seiner Kontrolle. Eine Gegenwehr gegen die Einschränkung der medizinischen Behandlung (Dr. Gronow bekundete glaubhaft, nur noch Augentropfen zu verabreichen) mit dem Ziel einer Hinzuziehung von Therapeuten seines Vertrauens war unter diesen Bedingungen blockiert. Auch die von ihm selbst kontrollierte Organisation seiner sozialen Beziehungen und Aktivitäten war abgeschnitten. Hier war er darauf angewiesen, mit Polizeibeamten Skat zu spielen, nicht aber mit Freunden aus einem emotionale Sicherheit und Wohlbefinden herstellenden Umfeld. Die Angst vor Lebensgefährdung war nicht beendet, sondern wirkte in der Verlassenheit und Angewiesenheit auf andere fort mit dauerhaften Bedrohungen der Integrationsmöglichkeiten von Seele und Körper. Auf das Stadium eines pflegebedürftigen Kleinkindes reduziert, sagt die Aufrechterhaltung von kognitiven Leistungen, kommunikativen Fähigkeiten und akzeptierendes Sicheinrichten auf die Situation nichts über die Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch das posttraumatisch fortwirkende Trauma aus. Die Energien waren auf Überleben gerichtet. Die Aussagen und das Aussageverhalten und die dabei beobachtete Gelassenheit, die „Coolness“, ja sogar der von Brambrink geschilderte rituelle Handschlag mit dem verhörenden Staatsanwalt stellten lediglich eine Form der Anpassung unter dem Diktat der abgespaltenen Angst dar. Die dabei gezeigten Fähigkeiten, wie Aussagefähigkeit und Verhandlungsfähigkeit lassen darum nicht den Schluss einer problemlosen Bewältigung zu. Sie setzten unter den Bedingungen vollständiger Abhängigkeit nur die posttraumatisch virulente Angst um. Die Aussage- und Kooperationsbereitschaft realisierte die Ohnmacht des Traumatisierten unter den Bedingungen absoluter Hilflosigkeit. Die Nutzung dieser Situation durch die Polizeibeamten, das Wachpersonal etc. im Sinne ihrer Vernehmungsziele wirkte sich im Sinne einer Verstärkung der Ohnmacht und Hilflosigkeit und damit im Sinne eines Trauma verstärkenden Eindringens aus.

Begründung:

§ 136 a StPO verbietet die Vernehmung des Beschuldigten unter Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung. Die in der Vorschrift genannten Formen der Beeinträchtigung wie Verabreichung von Mitteln, Quälerei, Täuschung, Hypnose, Zwang und Drohung stellen keine abschließende Aufzählung dar. Sie sind auch, wie Lehre und Rechtsprechung betonen, nicht streng und kategorisch von einander geschieden und zu scheiden. Vielmehr handelt es sich um verschiedene Ausdrucksformen der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung. § 136 a StPO macht einen Unterschied zwischen Beeinträchtigung dieser Freiheit und der Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit, bzw. -fähigkeit, Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit. Sie ist ihnen übergeordnet. Die Aussage- und Verhandlungsfähigkeit kann voll entwickelt und unbeeinträchtigt sein, während es gleichwohl an der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung fehlen kann. Dies kommt in einem Fall einer psychischen Zwangssituation zum Ausdruck, den der Bundesgerichtshof von 50 Jahren zu entscheiden hatte und der noch immer exemplarisch angeführt wird (BGH St 15,186). Eine Quälerei, d.h. die Zufügung seelischer Schmerzen und Leiden wurde darin gesehen, dass dem beschuldigten Vater von der Polizei angedroht wurde, ihn zu der Leiche seines Sohnes zu führen, wenn er nicht Einzelheiten über die Tat angebe, und darüber hinaus darin, dass er zur Erlangung eines weiteren Geständnisses zu der Leiche seines Sohnes geführt wurde. Hier waren die Aussagefähigkeit und die dazu erforderlichen kognitiven Funktionen nicht beeinträchtigt. In dieser Quälerei, in der Zufügung dieses psychischen Leidens wurde aber eine erhebliche Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung gesehen.

Die nach § 136 a StPO relevante Beeinträchtigung der Willensentschließung und Willensbetätigung setzt nicht voraus, dass sie absichtlich herbeigeführt oder ausgenutzt wurde. Es kommt nicht einmal darauf an, dass der Vernehmende die Beeinträchtigung gekannt hat. Allein maßgebend ist der objektive Zustand der Beeinträchtigung. (hier im Fall zur Ermüdung Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 136 a Rdnr. 13). Dies gilt mithin auch für den Zustand der Willensbeeinträchtigung durch Angst, Panik, Identifikation mit dem Aggressor und die daraus folgende Bereitschaft der Willfährigkeit und das Sicheinlassens auf das erwartete Aussageverhalten, wie es im vorliegenden Fall zum Tragen kommt. Die unter Beweis gestellten Tatsachen bedeuten, dass der äußere Anschein der Normalität, der Fähigkeit und Umgangsformen Hermann Feilings in der genannten Zeit nicht dahin verstanden werden dürfen, es liege keine die Beeinträchtigung der Willensfreiheit ausschließende oder mindernde Verhaltensform vor. Ob es sich um den Anschein der körperlich-seelischen Ausgeglichenheit und der Aufgeschlossenheit Feilings handelt, oder die Art seiner Redeweise, den Anschein der Aussagebereitschaft und -fähigkeit während der Vernehmungen, sowie der Fähigkeit, die Form seiner Aussage zu steuern, das Einverständnis mit den praktizierten Sicherungsmaßnahmen und die Kenntnis, jederzeit die Polizeischule verlassen zu können, auch den Anschein, er handele nicht unter seelischem Druck: sie alle stellten nur den Ausdruck der Anpassungsbereitschaft unter dem Druck der existenziellen Bedrohung dar. Sie, wie auch das Funktionieren der kognitiven Funktionen können als äußerliche medizinisch unter Beschränkung auf den somatischen Bereich feststellbare Tatsachen die Willensfreiheit nicht bestätigen. Vielmehr setzen sie die zugrunde liegende Angst und die Einschränkung der Willensfreiheit gerade in normales Alltagsverhalten um. Unter den obwaltenden Umständen totaler Abhängigkeit stellten sie nur den objektiv im Verhalten feststellbaren Ausdruck einer posttraumatisch bedingten Beeinträchtigung der Willensentschließung und Willensbetätigung dar.

Zur Frage der Erheblichkeit bedarf es keiner weiteren Ausführungen.

Die vom OLG Frankfurt in dem Verfahren gegen Hermann Feiling (OJs 42/78) eingeholten Gutachten konnten die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet der Traumaforschung nicht berücksichtigen. Zudem hatten sie ausdrücklich in erster Linie die Frage nach der Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit zum Gegenstand, nicht der Freiheit der Willensbetätigung. Gleichwohl enthalten sie eine Reihe von Ansätzen, die, wenngleich rudimentär, die späteren Entwicklungen zwar nicht vorwegnehmen, so doch andeuten.

So erklärt Prof. Dr. Harlfinger in seinem Gutachten vom 27.11.1978 (Sachakte des Verfahrens OLG Frankfurt OJs 42/78 Bd. 4, Bl. 30, Gutachten S. 20, 21ff): „5. Die Fähigkeit des Bg., in freier Willensentschließung und Willensbetätigung darüber zu entscheiden, als Zeuge oder als Beschuldigter Aussagen zu machen oder zu verweigern, war infolge seiner ganz außerordentlichen Situation durch die plötzliche Blindheit und den Verlust beider Beine eingeschränkt, aber nicht aufgehoben.

Zu 5.: Die Fähigkeit, darüber zu entscheiden, welche Aussagen er machen und welche Angaben oder Tatsachen er für sich behalten will, war bei dem Bg. beeinträchtigt, und zwar nicht aus Gründen einer intellektuellen, verstandesmäßigen Unfähigkeit, sondern deshalb, weil er sich emotional, d.h. im weitgehend unbewussten Bereich des Gefühlslebens in einer weitgehend unbewältigten Situation befand.

Die plötzliche Blindheit, der Verlust eines wesentlichen Teils seines Körpers, (der hier von der Erlebnisseite her besser als „Leib“ zu verstehen ist) und die Unmöglichkeit, je wieder ohne größte Schwierigkeiten gehen zu können und die daraus sich ergebenden unabsehbaren Folgen und schließlich der damit zusammen hängende Verlust von Zielvorstellungen müssen den Bg. in eine zunächst chaotische innerseelische Verfassung gestürzt haben.

Es reicht nicht aus, dass er diese für den Nicht-Betroffenen kaum vorstellbaren Veränderungen „verstand“, d.h. intellektuell erfasste. Es kam darüber hinaus zu einer Verdrängung der auf ihn zukommenden Belastungen, zu einem Abschieben der Ängste in den unbewussten Bereich. Dieser Vorgang ist als Angstabwehrmechanismus in vergleichbaren Situationen bekannt und unter Umständen lebenserhaltend. Ein allmählicher Abbau solcher Verdrängungen ermöglicht im Laufe der Zeit die erforderliche Neuorientierung, die Gewinnung einer neuen Identität. Vergleichbar sind diese Abläufe der „Trauerarbeit“, bei der eine innere Umstellung auf einen schweren Verlust allmählich erfolgen muss.

Diese Umstellungsvorgänge haben bei dem Bg., soweit erkennbar, bisher kaum eingesetzt. Die Vielzahl äußerer Ereignisse und Erlebnisse (in der Realität) erleichterten die Verdrängung innerer Probleme und erschwerten zugleich das, was man als „Innewerden“ von Fakten und Folgen bezeichnet hat.

Ein Übermaß verdrängter Inhalte führt aber dazu, dass unbewusste Motive und Impulse das Verhalten und die Entscheidung stärker beeinflussen als dies normalerweise beim Menschen ohne solche Überlastungen schon der Fall ist. Die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage, ob er ein Wissen mitteilt oder für sich behält, ist daher bei dem Bg. eingeschränkt.“

In dem Gutachten von Prof. Dr. Mentzos (ebendort, Bl. 328ff) heißt es bestätigend: „Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass ein solcher akuter Verlust eine erhebliche Belastung der Kompensationsmöglichkeiten jedes Menschen darstellt. Wenn die verschiedenen Zeugen angegeben haben, dass sie erstaunt über die „Fassung“ von Herrn Feiling waren, so ist das – wie schon oben angeführt – darauf zurückzuführen, dass er aufgrund seiner habituellen Mechanismen der Verdrängung und Verleugnung in der Lage war, die Fassade einer gelungenen Kompensation und Distanzierung zu vermitteln. Man muss aber mit Herrn Prof. Harlfinger davon ausgehen, dass er dazu erhebliche Mengen seelischer Energie gebraucht hat. Von daher ergibt sich die Frage, ob es dadurch einen sozusagen solchen „Kräfteverschleiß“ gegeben hat, dass Herr Feiling nicht in der Lage war, sich gegen das „Eindringen“ der ihn vernehmenden Personen zur Wehr zu setzen. Hierzu ist zu sagen, dass dies freilich nur eine Hypothese darstellt, dass sogar Herr Prof. Harlfinger selbst nicht daran eine Verhandlungsunfähigkeit, sondern eine Beschränkung der Verhandlungsfähigkeit ableiten wollte.“

Um die Beschränkung der Verhandlungsfähigkeit geht es hier nun nicht. Allerdings pflichtet Prof. Dr. Mentzos Prof. Dr. Harlfinger bei der Beantwortung der Frage der Beeinträchtigung der Willensfreiheit dahingehend bei, dass diese beeinträchtigt gewesen sei und fügt den uns aus den obigen Ausführungen geläufigen Umstand hinzu, dass sich jedenfalls an der „Fassade“ situationsadäquaten Verhaltens nichts für die Frage der Willenfreiheit ablesen lasse. Bemerkenswert ist, dass er in sein Gutachten ein Zitat aus einem von Herrn Feiling nach außen gegebenen Tonband wie folgt aufnimmt: „Er spricht auch von einer Spaltung zwischen seinen Emotionen, die eigentlich vorhanden und ungebrochen seien und seinem Verstand und seiner Rationalität.“

Diese Äußerung wird bei der beantragten Begutachtung einbezogen werden können.

Die Befunde zur hier in Rede stehenden Frage der Beeinträchtigung der Willensfreiheit werden im Freibeweisverfahren erhoben. Sie haben aber auch Auswirkungen auf die Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit Herrmann Feilings und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen in der gesamten Zeit bis zu seiner Entlassung Ende Oktober 1978 aus dem Polizeigewahrsam. Im vorliegenden Fall gebietet die Aufklärungspflicht, den Beweis zu erheben (§ 244 Abs. 2 StPO gilt insoweit entsprechend, Loewe-Rosenberg StPO § 136 a VII 7). Herdegen hat in seinen Ausführungen zum Freibeweis (Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., § 244 Rdnr 10) keine Zweifel daran gelassen, dass in einem solchen Fall dem durch Freibeweis eingeräumten Ermessen keine einschränkende Bedeutung zukommt. Fischer schließt sich in der 6. Auflage weitgehend an Herdegen an und schließt unter Berufung auf Alsberg/Nüse/Meyer mit der pointierten Feststellung, den in § 136 a gebrachten Grundsätzen gegenüber finde das dem Gericht im freien Beweisverfahren eingeräumte Ermessen Grenzen.

Bei der Auswahl des bzw. der Sachverständigen bittet die Verteidigung vorher angehört zu werden.

Hartmann, Rechtsanwalt

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